7. Juni 2017

Hat der einfache Gesetzgeber ein Steuererfindungsrecht? Zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Gemäß dem Beschluss des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. April 2017 zu 2 BvL 6/13 ist das Kernbrennstoffsteuergesetz mit Artikel 105 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 106 Absatz 1 Nummer 2 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig (hier der Entscheidungsvolltext; hier die Pressemitteilung).

Diese Entscheidung ist, wenn man rein ihren Tenor betrachtet, wenig aufsehenerregend, da das für nichtig erklärte Gesetz Betreiber von Atomkraftwerken, also eine überschaubare Zahl von Normadressaten, betraf. Für den Rest der Menschheit ist jedoch die Begründung von Interesse, mit welcher das Bundesverfassungsgericht seine Ansicht unterfüttert.

Denn die zentrale Frage, mit der sich die Karlsruher Richter auseinanderzusetzen hatte, lautete: In welchem Umfang hat der einfache Gesetzgeber ein Steuererfindungsrecht, also die Befugnis, neue Steuerarten einzuführen?

­Die bundesstaatliche Kompetenzverteilung hinsichtlich der Steuergesetzgebung regelt Art. 105 GG; die Steuerertragshoheit (d.h. welcher Gebietskörperschaft der Steuerertrag zusteht) ist in Art. 106 GG festgelegt.

Nach der Meinung der Senatsmehrheit kommt dem einfachen Gesetzgeber ein Steuererfindungsrecht nur im Rahmen der in Art. 106 GG enthaltenen Typusbegriffe zu (Rn.* 68). Diese seien zwar weit auszulegen (Rn. 114), für Analogieschlüsse bleibe jedoch kein Raum (Rn. 58). Vielmehr sei die Zuweisung der Gesetzgebungskompetenzen an Bund und Länder durch Art. 105 in Verbindung mit Art. 106 GG abschließend (Rn. 69). Der in Art. 105 Abs. 2 GG enthaltene Begriff „übrige Steuern“ beziehe sich auf die in Art. 106 GG genannten Steuern und Steuerarten (Rn. 71). Einem allgemeinen, also über den Katalog des Art. 106 GG hinausgehenden, Steuererfindungsrecht erteilt das BVerfG nicht nur bezüglich des Bundes, sondern auch im Hinblick auf die Länder eine Absage (Rn. 94).

Gegen ein allgemeines Steuererfindungsrecht streite, so die Senatsmehrheit, nicht nur die „Befriedungsfunktion“ der bundesstaatlichen Finanzverfassung (Rn. 58), sondern auch deren „Schutz- und Begrenzungsfunktion“, welche auch zugunsten des Bürgers wirke (Rn. 60). Zu diesem Aspekt führt die Entscheidung wie folgt aus (Rn. 93):

Der Schutz der Bürger vor einer unübersehbaren Vielzahl von Steuern ist ein originärer und eigenständiger Zweck der Kompetenznormen der Finanzverfassung, mit dem die Annahme eines Steuererfindungsrechts nicht in Einklang zu bringen wäre. Es könnten beliebig „neue“ Steuern und Steuerarten eingeführt werden. Die steuerliche Art des Zugriffs auf die Ressourcen des Bürgers wäre damit weitgehend unbeschränkt; insbesondere die in der Finanzverfassung ausdrücklich genannten Steuern und Steuerarten würden ihrer begrenzenden Funktion (Rn. 60) entkleidet.

Nur mit dem Ergebnis, nicht aber mit der Begründung der Entscheidung sind die Richter Peter M. Huber und Peter Müller – sinnigerweise zwei ehemalige Landespolitiker – einverstanden. Sie haben deshalb dem Beschluss des BVerfG eine abweichende Meinung hinzugefügt. Huber und Müller treten für ein umfassendes Steuererfindungsrecht ein. Dem Begriff „übrige Steuern“ in Art. 105. Abs. 2 GG könne gerade nicht eine Beschränkung auf die in Art. 106 GG genannten Steuern und Steuerarten entnommen werden. Der Schutz des Bürgers sei nicht durch eine restriktive Interpretation der Steuererfindungskompetenz des einfachen Gesetzgebers, sondern „durch die prozeduralen und materiellen Garantiegehalte der Grundrechte sichergestellt“ (abweichende Meinung Rn. 34), wobei die wichtigsten verfassungsmäßigen Garantien in Rn. 35 des Sondervotums aufgezählt werden. Bei neu erfundenen Steuern folge die Ertragshoheit der Gesetzgebungskompetenz (abweichende Meinung Rn. 29). Wenn der Bund kraft Art. 105 Abs. 2 GG eine neue Steuerquelle erschließe und dabei auch die Ertragshoheit in Anspruch nehme, sei zur Wahrung der Interessen der Länder über den Wortlaut des Art. 105 Abs. 3 GG hinaus die im Anlassfall nicht eingeholte Zustimmung des Bundesrates erforderlich (abweichende Meinung Rn. 41).

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Nach Ansicht des endunterfertigten Glossators ist die Entscheidung des BVerfG zu begrüßen, zumal sie unter zwei verschiedenen Aspekten das Schutzbedürfnis des Bürgers vor fiskalischer Überlastung unterstreicht. Einerseits ist es erforderlich, wie die Senatsmehrheit zutreffend releviert, dass der Abgabepflichtige anhand der in Art. 106 GG festgelegten Typen grob voraussehen kann, welche Steuern der einfache Gesetzgeber im Einklang mit der Verfassung erfinden darf. Zum anderen ist den beiden Sondervotanten beizupflichten, wenn sie betonen, dass eine Steuererhebung (als enormer staatlicher Eingriff in Rechtspositionen des Einzelnen, möchte man hinzufügen) immer auch dem Maßstab der Grundrechte zu unterwerfen ist. In Zeiten, in denen sich die Politik in unverschämter, zudringlicher Weise einen Anspruch auf das Vermögen des Bürgers anmaßt, ist dies ein wohltuendes Signal der Verfassungshüter.

* Randnummer (des Entscheidungsvolltextes)


Noricus

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